Zwischen den Deckeln: die Würde, die Kunst.

Wo von einer übertriebenen Erinnerungspolitik oder gar einem Schuldkult gesprochen wird, hat die selektive Demenz das Erinnern längst verdrängt. Drei Sekunden Gegenwart. Kein Davor und das Danach gelobt auch keine Besserung.


Das Erinnern ist dennoch zentral, darüber gibt es eine deutsche Einigkeit. Nur das Was erscheint als ein kalkuliert umkämpfter Diskurs, der in seinen Schäbigkeiten kaum auszuhalten ist. Gleichsam schädlich wie das bewusste Entwickeln eines kollektiven falschen Bewusstseins der Deutschen, erscheint mir das ehrliche Unwissen vieler über Geschehnisse und Entscheidungen des Nachkriegsdeutschlands. Der Mythos der
Stunde Null ist nichts als die Idee einer weißen Weste der Deutschen nach 1945, nur werden braune Westen auch nicht mit Persil zu weißen; und mit diesem Urmythos der BRD ist es deutlich leichter, vom Dreher-Gesetz nichts zu wissen; und die wohl zentralste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Kunstfreiheit ist so bekannt, als hätte es sie nie gegeben.


Auch wenn vom Ruhm seines Vaters überschattet, ist Klaus Mann immerhin kein gänzlich Unbekannter, wenngleich sich meine Generation redlich bemüht, dafür zu sorgen. „Der Klassiker“ ist abgeschafft, in den Schaufenstern der Buchhandlungen wird man angelächelt von Personen, die berühmt sind, weil sie berühmt sind; daneben die obligatorische BookTok-Ecke, die dem Buchhandel gerade das Leben rettet, der Literatur aber das Genick bricht.


Von Klaus Manns Mephisto haben einige immerhin gehört, manche haben es gelesen. Offenbar ist es aber auch nach dem Anschluss der DDR an die BRD möglich, das Buch gelesen, doch keine Kenntnis davon zu haben, dass die Vervielfältigung, Verbreitung, der Verkauf dieses Buches in der BRD ab 1971 auf unbestimmte Zeit höchstrichterlich faktisch verboten war.


Zwar handelte es sich bei der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1971 formal lediglich um die Abweisung einer Beschwerde gegen ein zivilrechtliches Verbot, doch in seinen Folgen kam dieses Urteil einem allgemeinen Verbot auf unbestimmte Dauer gleich. Ein Verstorbener habe zwar keine Persönlichkeitsrechte mehr, aber ihm käme auch nach dem Tod eine Würde zu, die in diesem Falle gewichtiger wäre als die Kunstfreiheit, so drei der sechs Richter*innen. Das Interesse an dem Schutz der Würde nähme nach dem Tode und mit schwindender Bekanntheit zwar sukzessive ab, wäre zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs aber noch schützenswerter als die Freiheit der Kunst.


Es macht fassungslos, wie das oberste Gericht in Deutschland kaum 26 Jahre nach Auschwitz mit der Würde argumentiert und damit das Recht eines verstorbenen Opportunisten meint, in einem künstlerischen Kontext nicht kritisch und polemisch dargestellt zu werden. Kaum verwunderlich, dass Erwin Stein, einer der sechs Richter*innen und CDU-Mitglied, eine andere Auffassung zum Sachverhalt verschriftlichte – seine jüdische Frau nahm sich im Frühjahr 1943 das Leben, um so der Shoah zu entkommen, kurz darauf wurde er für den Vernichtungskrieg eingezogen.


Zehn Jahre nach dem Urteilsspruch wurde das Buch verfilmt, viele kennen den Stoff des Buches durch diese Fassung mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle. In diesem Zuge gab es auch einen erneuten Abdruck des Buches in Westdeutschland – die Nachfrage war riesig. Es gab keine erneute Klage, der Adoptivsohn von Gustaf Gründgens hatte offenbar aufgegeben; die Aussichten auf Erfolg wären deutlich geringer gewesen als die Jahre davor.


In meiner Arbeit Zwischen den Deckeln: die Würde, die Kunst. setze ich mich seit dem 23.05.2024 (75 Jahre Grundgesetz) mit dem Urteil aus dem Jahr 1971 auseinander, da dieses bis zum heutigen Tag Bestand hat und immer wieder vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffen wird, geht es um die Freiheit der Kunst – insbesondere im Verhältnis zu den Rechten Dritter.


Ziel der Arbeit ist es, alle 10.000 Bücher der westdeutschen Erstauflage aus dem Jahr 1965 zu erwerben und zu schwärzen. Zusätzlich zu zwei eingetragenen Daten (Beginn und Ende des Schwärzens) sowie meiner Signatur erhält jedes Buch eine Nummer, die im Verhältnis zu der Auflagenstärke abgebildet wird (z. B. 1 / 10.000). Diese Nummer entspricht gleichsam dem Verkaufspreis des geschwärzten Buches in Euro, sodass jedes Buch 1€ teurer ist als das vorherige.


Im Namen des Volkes: ein Bücherhain.

Mit meinem Tod ergibt sich ein Auftrag für eine oder mehrere Personen, die mich überlebt haben und willens sind, diesen umzusetzen: All jene Bücher, die bis zum Zeitpunkt meines Todes unverkauft bleiben, sich aber bereits in meinem Besitz befanden und geschwärzt sind, sind gesammelt in einem Raum, der einer Kammer gleichen soll, auszustellen. Die Mühen für die Errichtung dieses „Bücherhains“ sind nur aufzubringen, wenn ich zum fraglichen Zeitpunkt noch mindestens 1.000 geschwärzte Bücher in meinem Besitz hatte. Andernfalls erwarte ich eine angemessene Lösung für den Verbleib der Bücher. So kann ich mir etwa vorstellen, diese mit dem Gericht unabgesprochen als riesigen Müllberg im Bundesverfassungsgericht abzuladen, wenn dieses dann noch existiert.


Insofern die Marke der 1.000 geschwärzten Bücher erreicht ist, ist ein Raum folgender Beschaffenheit zu errichten:
Der Raum hat fensterlos zu sein, im Zweifel ist eine Wand zu ziehen, die ein sonst vorhandenes Fenster verdeckt. Die Größe des Raumes bestimmt sich in Abhängigkeit zur Anzahl der verbliebenen Bücher – alle Wände außer die türseitige sind möglichst deckenhoch mit diesen zu bestellen; als Richtwert ist zu sagen, dass 60 – 90 % der Fläche dieser drei Wände von Büchern bedeckt sein soll. Eventuell verbliebene, aber zum Zeitpunkt meines Todes noch ungeschwärzte Bücher, sind lieblos nach etwa 2/3 der Raumlänge in Form eines Müllhaufens zu stapeln.


Die Wände, Decke, der Boden des Raumes sind schwarz, ebenso sollen es die Regale sein, welche die Bücher tragen. Regale aus Metall, die direkt in den Wänden verankert sind und eher einzelnen Brettern ähneln, kann ich mir gut vorstellen. Eine flackernde Neonröhre – ihr Surren soll hörbar sein – beleuchtet den Raum mit eben jener Unsicherheit, die prägend war im Leben Klaus Manns, die heute wieder prägend ist.


Auf der türseitigen Wand sind die Worte „Im Namen des Volkes: ein Bücherhain“ zu platzieren. Farblich haben sie dem Leineneinband der Bücher zu gleichen. Ob sie als eine Art Wandtattoo oder in plastischer Form erscheinen, soll mir gleich sein.


Ohne verpflichtende Eintrittskosten, auf Spendenbasis soll der Raum begehbar sein. Auch auf eine barrierearme Ausgestaltung ist zu achten, Treppenstufen sind zu vermeiden usw. Ist es möglich, Förderungen zu erhalten, so ist sich um diese zu bemühen. Eventuell überschüssige Gelder gehen zur Hälfte an die Personen, die den Raum betreuen, zur anderen an Stiftungen, Vereine, Projekte usw., welche sich mit den Themen Bücherverbrennung und/oder Shoah auseinandersetzen oder an solche, die gegen zum fraglichen Zeitpunkt gegenwärtigen Antisemitismus anarbeiten. Sollte ich zu meinem Todeszeitpunkt etwas Vermögen angehäuft haben, ist dieses für die Errichtung des Raumes zu verwenden; eventuell überschüssiges Geld hat wieder in besagte Projekte zu fließen.